Auch in Bayern hat die Schule wieder begonnen und damit ein neues Schuljahr. Das erste für knapp 20.000 Schüler in Ostbayern. Bislang war es tendenziell so, dass alle Kinder ihre Muttersprache bis zum Schulanfang recht gut und altersangemessen gelernt hatten. Die Schwierigkeiten mit der Sprache gingen meist erst damit los, dass man ungewöhnliche Schreibweise lernen oder man Satzteile bestimmen musste, die man vorher einfach nur gebraucht hatte.
Eine alarmierende Entwicklung
Dieses Jahr hört man aus dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dass die Kinder über einen geringeren Wortschatz verfügen als früher und immer mehr Schulanfänger Lautbildungs- und Satzbildungsstörungen haben.
Die Zahlen des Bayerischen Gesundheitsministeriums gehen in die gleiche Richtung: Im Schuljahr 2014/2015 weist etwa jedes 4. Kind eine Sprachauffälligkeit auf. In Leipzig waren im Einschulungsjahr 2015 sogar mehr als 30 Prozent der Erstklässler betroffen. Wie kommt so etwas? Und wohin führt uns das als Gesellschaft in den nächsten Jahren?
Vielfältige Gründe für Sprachprobleme
Der Anteil der neuen Medien an den Sprachproblemen
Ein Grund ist sicher, dass Kinder heute schon in sehr jungen Jahren mit elektronischen Geräten hantieren und Emoticons und Kurztext-Zeichen benutzen, bevor sich die gesprochene Sprache festigen oder gar richtig bilden konnte. Aus meiner Sicht sollten Kinder erst dann ein Mobiltelefon haben, wenn sie sich in der dreidimensionalen analogen Welt sicher orientieren können. Schließlich ist es für Kinder ungeheuer schwierig, die virtuellen dreidimensionalen, bunten, bewegten Bilderwelten auf einem sogenannten Smartphone von der ebenfalls dreidimensionalen und farbigen wirklichen Welt zu unterscheiden. Wenn diese Geräte ihnen dann noch das Reden abnehmen, ist es kein Wunder, dass Kinder nur noch über einen marginalen Wortschatz verfügen.
Der Beitrag der Eltern zur Sprachlosigkeit der Schulanfänger
Wer seine Kinder zu früh an digitale Medien gewöhnt und es zudem versäumt, mit ihnen regelmäßig Erlebnisse und Eindrücke mündlich auszutauschen, muss sich später nicht wundern, wenn die Kinder sich nur noch rudimentär ausdrücken können, ihnen komplexe Denkvorgänge große Mühe bereiten und sie sich im Straßenverkehr nur schwer orientieren können.
Etwa 80 Minuten verbringen Eltern im Schnitt mit ihren Kindern. Dabei vergeht ein Viertel dieser Zeit im Auto, während Eltern ihre Kinder zur Schule und zu verschiedenen Freizeitaktivitäten fahren. Für Gespräche, das Vorlesen und die Hausaufgabenbetreuung sind täglich nur etwa 10 Minuten übrig. Also nur halb so viel Zeit wie für die Taxidienste. Das sind Durchschnittswerte, was bedeutet, dass es Familien gibt, in denen die Eltern ihren Kindern mehr Zeit widmen und Familien, in denen es noch weniger Zeit ist.
Machen die Kitas alles richtig?
Auch in den Kindertagesstätten wird – im Durchschnitt – zu wenig auf Klang und Rhythmus der Sprache geachtet, indem etwa gesungen und gereimt würde. Bei einem vorgesehenen Anstellungsschlüssel von einer pädagogischen Fachkraft für zehn Kinder in den bayerischen Kindertagesstätten muss jedem klar sein, dass ein individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder kaum möglich ist.
Der angesehene dänische Familientherapeut Jesper Juul empfiehlt einen Betreuungsschlüssel von 1 : 4. Damit könne die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder angemessen gefördert werden. Und zu dieser Entwicklung gehört natürlich auch, sich sprachlich mitteilen und seine Gefühle adäquat ausdrücken zu können.
Kann es die Schule richten?
Vieles, was früher ganz nebenbei in der Familie an Kinder weitergegeben wurde, sei es durch Eltern, Großeltern und Geschwister, wird heute auf externe Institutionen ausgelagert. Zudem kommt eine oft unkritische Technikgläubigkeit hinzu, die die Startbedingungen für Kinder jedenfalls nicht verbessert. Schule leistet einen großen Beitrag. Ihr Auftrag ist Bildung, nicht Erziehung. Man sollte sie nicht überfrachten.
Was ist zu tun?
Jeder sollte an seinem Platz das Beste für die junge Generation beitragen. Dann werden wir Kindern ein gutes Fundament für eine ungewisse Zukunft geben können. Was die Sprachentwicklung angeht, plädiere ich für weniger Zeit mit Elektronik für Kinder unter 12 Jahren. Außerdem für mehr Rede- und Lesezeit in der Familie. Das Vorlesen von Gute-Nacht-Geschichten am Abend ist eins der probaten Mittel, Kindern die Sprache spielerisch schmackhaft zu machen. Deshalb wird nicht jedes Kind gleich eine Leseratte. Aber die Kinder hören eine Vielfalt an Wörtern, die im Alltag vielleicht nicht vorkommen. So erweitern sie automatisch ihren Wortschatz. – Vorausgesetzt, Eltern achten darauf, neue Wörter zu erklären und ermuntern die Kinder zu fragen, wenn sie ein Wort noch nicht kennen. Auch Wortspiele verkürzen Autofahrten ungemein und schulen den Sprachsinn. Wer mehr dazu wissen will, nutzt die Entdeckungsreise Sprache